Herr Mandelli, Sie sind neben Ihrer klinischen Tätigkeit auch Mitglied einer Forschungsgruppe, die sich mit der zervikalen Stenose, also mit Verengungen der Halswirbelsäule beschäftigt – worum geht es genau?
Ich bin Teil der Forschungsgruppe unter der Leitung von PD Dr. med. Cordula Netzer von der Universität Basel. Gemeinsam mit dem Basler Labor für funktionelle Biomechanik (BFBL) befassen wir uns mit der funktionellen Analyse von Patientinnen und Patienten mit Erkrankungen der Wirbelsäule. Ich leite ein Projekt, das sich speziell mit der zervikalen Spinalkanalstenose befasst.
Wir untersuchen die körperliche Aktivität, also das Gangbild, das Gleichgewicht sowie die Beweglichkeit bestimmter Gelenke. In unsere Studie eingeschlossen sind sowohl Patienten, die operiert werden, als auch solche, die zunächst konservativ, d.h. ohne einen operativen Eingriff, überwacht werden. So können wir nicht nur den funktionellen Zustand nach der Operation objektiv beurteilen, sondern auch den natürlichen Verlauf der Erkrankung besser verstehen.
Ziel der Studie ist es, die Patienten besser informieren zu können, was den besten Operations-Zeitpunkt betrifft sowie den Krankheitsverlauf mit und ohne Operation.
Was sind die Ursachen solcher Verengungen in der Halswirbelsäule? Ist jeder Mensch früher oder später davon betroffen?
Die häufigste Ursache ist der altersbedingte Verschleiss der Wirbelsäule. Mit den Jahren werden die Bandscheiben dünner, die Bänder dicker, und es wird mehr Knochen in Gelenknähe gebildet. Dabei kann der Wirbelkanal, in dem das Rückenmark verläuft, allmählich eingeengt werden. Diese Einengung wird als zervikale Spinalkanalstenose bezeichnet. Der Alterungsprozess betrifft grundsätzlich alle Menschen, jedoch nicht im gleichen Ausmass: Viele zeigen Veränderungen, aber keine Beschwerden. Nur ein Teil entwickelt im Laufe der Zeit neurologische Symptome – man spricht dann von einer Myelopathie, was eine Schädigung vom Rückenmark bezeichnet. Weitere Risikofaktoren sind das männliche Geschlecht, Rauchen, eine genetische Veranlagung oder frühere Verletzungen.
Ich möchte unterstreichen, dass das frühzeitige Erkennen der typischen Beschwerden bei einer Schädigung des Rückenmarks eine entscheidende Rolle spielt. Eine zunehmende Störung des Gleichgewichts oder der Feinmotorik der Hände (z. B. beim Schreiben, Anziehen von Ohrringen oder Schließen von Knöpfen) sowie ein Kribbeln in den Fingerspitzen sind Alarmzeichen dieser Erkrankung und sollten zu einer entsprechenden neurologischen Abklärung führen.
Operative Eingriffe an der Halswirbelsäule sind für die Betroffenen sehr emotional und mit der Angst vor möglichen Lähmungen verbunden – zu Recht?
Diese Sorge ist nachvollziehbar, aber zum Glück selten berechtigt. Schwere Komplikationen wie dauerhafte Lähmungen treten in weniger als 1 % der Fälle auf. Es gibt allerdings eine breite «Grauzone» von Lähmungserscheinungen: So können alle vier Gliedmassen betroffen sein – oder auch nur eine einzelne, gezielte Bewegung, etwa der Finger einer Hand. Glücklicherweise gilt: Je schwerwiegender die mögliche durch die Operation verursachte Lähmung wäre, desto geringer ist ihre Eintrittswahrscheinlichkeit.
Die zervikale Spinalkanalstenose kann entweder über einen vorderen oder hinteren chirurgischen Zugang behandelt werden. Ziel der Operation ist es, den Spinalkanal zu erweitern, um das Rückenmark zu entlasten und dessen Durchblutung zu verbessern. Neben der Erweiterung ist häufig auch eine Stabilisierung mit Implantaten notwendig. Je nach Zugangsweg und gewählter Technik sind unterschiedliche Risiken zu berücksichtigen – insgesamt gelten diese Operationen jedoch als sicher.
Wenn ich mit meinen Patientinnen und Patienten über die Operation spreche, thematisiere ich auch immer die Erwartungen, um unrealistische Hoffnungen und spätere Enttäuschungen zu vermeiden. Eine gewisse funktionelle Besserung ist zwar möglich, doch das wichtigste Ziel der Operation besteht in der Vermeidung einer weiteren Verschlechterung. Je länger die Beschwerden bereits bestehen und je älter die Patientin oder der Patient ist, desto geringer fällt in der Regel die postoperative Erholung aus.
Patientinnen und Patienten sind oft besorgt oder unsicher, was nach einem möglichen chirurgischen Eingriff auf sie zukommt. Können Sie den postoperativen Verlauf erläutern?
Die Erholungsphasen nach solchen Operationen verlaufen in der Regel schneller, als viele Patienten erwarten. Bereits am Operationstag oder spätestens am ersten postoperativen Tag, also am ersten Tag nach dem Eingriff, werden Patienten mobilisiert und dürfen aufstehen, gehen und ihren gewohnten Alltagsaktivitäten nachgehen – solange keine besonderen Belastungen oder extreme Bewegungen der Halswirbelsäule erfolgen.
Sie arbeiten nicht nur in der Forschung, sondern auch in der Klinik. Durch Ihre chirurgische Tätigkeit übernehmen Sie damit auch eine große Verantwortung gegenüber Ihren Patientinnen und Patienten – was motiviert Sie an dieser klinischen Tätigkeit?
Was mich besonders motiviert, ist die Möglichkeit, die Lebensqualität der Patienten spürbar verbessern zu können. Wenn jemand nach einer Operation wieder selbstständig gehen oder die Sachen greifen kann, ist das sehr erfüllend. Die Verantwortung ist selbstverständlich gross, aber gerade sie gibt meiner klinischen Tätigkeit Sinn und werden dafür auch jahrelang ausgebildet. Forschung und Klinik ergänzen sich dabei gut: Neue wissenschaftliche Erkenntnisse fliessen direkt in die Behandlung ein – zum Wohl der Patientinnen und Patienten.